Vom Sinn oder Unsinn des Projektstatus
(Thomas Hocke /Januar 2011)
Die folgenden Zeilen sollen als eine Art Aufforderung zum Denken und Diskutieren verstanden werden. Dieser Aufsatz soll als Denkansatz Möglichkeiten und Grenzen des Sportkletterns unter einer rein ethischen Perspektive eröffnen und in einem ersten Teil einen Themenspezifischen Rahmen um das Thema „Projektstatus von Kletterrouten“ knüpfen.
Als übergeordnete Fragestellung möchte ich die Gültigkeit des so oft praktizierten Prinzips des Anspruchs des Erschließers einer Route auf die erste Begehung (freie Begehung) prüfen.
Damit das ganze nicht so trocken wird möchte ich versuchen mit viel Praxisbezug und Beispielen darzustellen und zu argumentieren.
Beginnen möchte ich mit einem Traum, der mich seit einigen Jahren immer wiederkehrend fesselt und beschäftigt.
Es beginnt an einem warmen Sommerabend. Ich verlasse meine Wohnung und mache nur wenige Schritte in ein mir sehr wohl bekanntes Waldgebiet. Ich spaziere total entspannt an einem Hang entlang. Ich war schon so oft hier (auch außerhalb meiner träume). Und ich kenn euch versichern hier gibt’s nur Buchen und nicht mal etwas, was aussieht wie ein Felsen. Doch im Traum ist ja alles anders. Ich wende meinen Blick links bergauf. Und plötzlich, was sehe ich? Den Perfekten Fels. Mein Fels. Den hab ich schon immer gesucht. Ich beschreibe ihn kurz, damit jedermann weis wie ich ticke. Er befindet sich fünf Gehminuten von meiner Wohnung entfernt, ist nordseitig ausgerichtet (wegen dem Grip), hängt nach allen Seiten stark über, 30 Meter hat er auch an Höhe, eine Boulderhöhle gibt’s dazu und ist mit den unglaublichsten Strukturen übersäht, die man sich nur vorstellen kann. Wahrlich ein Traum! Mein erster Gedanke: „Schnell und heimlich einbohren.“ Damit, wenn fertig, das Meisterwerk der Öffentlichkeit präsentiert werden kann. Meine Augen zeichnen die Lienen auf den Fels. Innerhalb kürzester Zeit weis ich schon, wie und wo die Routen Verlaufen werden. Es sind über zwanzig Aufstiege, die Schwierigkeiten gehen bis open end. Ein vertrauter Denkprozess spielt sich in meinem Kopf ab. Alles läuft nur auf das suchen von Linien hinaus. Ein Wahnsinns Traum! Doch da, was sehe ich da: Haken! Nein das darf und kann nicht sein. Und dort: Oben links, ein Fixseil. Da, plötzlich Bohrgeräusche. Wie ein getriebener gehe ich der Sache nach. Mein Traum wird zum Alptraum. Das letzte was ich in meinem Traum mitbekomme ist, dass ich meinen guten Freund Dirk erkenne und ihn freundlich grüße. Er hat den ganzen Felsen eingerichtet und natürlich die besten Linien schon befreit.
Die Frage, die sich für mich hier stellt, ist: Hab ich etwas verloren oder etwas gewonnen?
Man kann hierzu noch unzählige Fragen stellen, beispielsweise warum mich so etwas beschäftigt, bin ich so ein Egoschwein, dass ich es in den Träumen verarbeiten muss, oder muss ich immer der Erste sein und kann ich nur glänzen wenn ich den Anderen etwas präsentiere von dem niemand wusste? Und überhaupt, warum hat Dirk keine Rastas mehr? Und was macht er in meinen Träumen? Egal.
Der Grund, meine vorweg gegangen Schilderung, ist der meiner Fragestellung eine Basis zu geben, sie mit Inhalt zu füllen.
Wem gehört eigentlich Fels? Niemanden, Allen oder einem Einzelnen? Steht das Objekt der Begierde auf Privatgrund, so ist die Frage leicht zu beantworten. Doch sehen wir es einmal aus der Perspektive unserer „Klettergemeinschaft“: …und da geschah es, dass einer daher kam und zufällig durch die Blätter des Waldes etwas Felsähnliches schimmern sah. Er bohrte die besten Linien ein und fertig. Das war es. Nun gab es nur noch Spinnenweben. Tag ein Tag aus kam niemand, um die Projekte zu befreien. Viele andere hegten Interesse die Touren einfach klettern zu wollen.
Jetzt stellt sich die Frage, ob der Erschließer den Anspruch darauf hat die Touren zu erst zu klettern. Wenn ja: Wie lange? Weiterhin frage ich mich, ob es etwas ausmacht, ob Karl Heinz oder Klaus Dietrich zuerst da hoch macht. Natürlich kann man wiederum entgegnen, dass Karl Heinz sehr viel Arbeit hatte die Touren einzurichten. Und dann kommen Klaus und seine Kumpanen und rocken die Dinger einfach weg. Da ist es mehr als logisch, dass Karl stinkig ist. Zudem hatte Karl immense finanzielle Aufwendungen. Die Haken hatte er sich vom Munde absparen müssen.
Wenn ich ganz ehrlich zu mir selber bin, dann muss ich folgendes gestehen. Hätte jemand anderes meine besten Touren vor mir geklettert, dann hätte mich das in einem bestimmten Maße geärgert. Ich hätte mich zweimal geärgert. Einmal, dass ich es nicht schneller geklettert habe und zum anderen hätte ich mich über mich selber geärgert. Über mein Ego. Denn: Was ist schon dabei? Bleib locker Herr Hocke! Ich bohre unheimlich gerne Touren ein. Ich suche gerne Felsen und dann die Linien. Mir macht das Putzen und das setzen der Haken spaß. Das Probieren der einzelnen „jungfräulichen“ Züge. Es ist ein tolles Erlebnis. Der ganze Prozess bis zum ersten Rotpunkt ist eine geniale Erfahrung. Doch kann es nicht auch toll sein, an diesem Prozess andere teilhaben zu lassen? Zum Beispiel beim klettern der Tour. Wir probieren die Züge gemeinsam und wer das Puzzle als Erster zusammenfügt hat die Erstbegehung. Ich als Erschließer bin ja schon auf meine Kosten gekommen. Der ganze Prozess hat mir großen Spaß gemacht. Die Spanier und Franzosen machen uns es ja vor. Bei denen gibt es kein Projektstatus. Die bohren ein und probieren. Kommt ein stärkerer und würde die Tour gerne versuchen, dann ist das kein Problem. Ich selber bin noch nicht auf dieser Ebene angelangt. Aber gerne würde ich da hinkommen. Gerne würde ich irgendwann einfach den egoistischen Schnürsenkel (der immer sagt: Finger weg, das ist mein Revier) im ersten Haken weg lassen. Vielleicht helfen mir ja diese Zeilen dabei, dem einen Schritt näher zu kommen.
Meiner Meinung nach schadet eine solche egoistische Einstellung der Athleten der Progression unseres Sports. Denn was passiert, wenn die Erschließer Jahrelang auf ihren Projekten herum glucken. Zum einen gibt es keine Veränderung und das ist schlecht für den Sport. Zum anderen manifestiert sich eine Ethik, welch nicht mehr „zeitgemäß“ ist, da die Frequentierung an unseren Felsen Jährlich zunimmt. Beispiel: Bouldern im Frankenjura ist in. Trotz Boulderappell kennen alle die Spots.
Ergo wirkt der Projektstatus hemmend auf die ganzheitliche Verteilung und somit Entlastung der Felsenlandschaft. Weiterhin stehen wunderschöne Linien da, welche aufgrund Projektstatus nicht geklettert werden können. Vielleicht sind es Touren, die eine neue Schwierigkeitsdimension aufbrechen können? Adam und Co. würde da schon hoch kommen. Aber unser Karl Heinz versucht sich schon seit 5 Jahren an den ersten drei Zügen.
Doch genau dieser „egozentrische“ Aspekt, dass Karl Heinz die ersten drei Züge schon seit Jahren immer und immer wieder versucht, veranlasst mich dazu, über meine vorangegangene Argumentation stark nach zu denken. Hierbei eröffnet sich eine weitere Dimension: Respekt. Und zwar der Respekt vor 5 Jahren der Hartnäckigkeit. Was wäre das für ein Arschtritt, wenn dann einer kommt und dem Karl Heinz zeigt, wie es richtig gemacht wird.
Ich finde, dass das schon eine recht verzwickte Sache ist. Die mit dem eigenen Projekt. Ist es möglich, eine Lösung zu erarbeiten, die ohne wenn und aber auskommen kann?
Es wäre toll, wenn sich daraus ein Diskurs entwickeln kann. Was meint Ihr?
P.S. Alle Karl Heinze und Klaus Günter sollen sich nicht auf den Schlips getreten fühlen. Die zwei sind rein fiktive Figuren.
Geben bringt immer mehr als Nehmen, der Genuss hält länger und das Teilen setzt dem immer wieder einen auf. Schade nur, dass das Individuum Mensch immer "Meins" denkt und das Teilen in allen Teilen der Gesellschaftsform schwer zu etablieren ist. Ich für meinen Teil profitiere davon und ich bon froh, wenn es die Linie gibt, egal ob ich oder eine andere Person der/die Erste(r) war. Wichtig ist mir das Erschließen nach gewissen Regeln, mit der Natur und den Menschen.
AntwortenLöschenNunja, das Teilen ist das gemeinsame Nutzen einer Ressource. Es unterliegt keiner zeitlichen Begrenzung. Jeder (Neu)erschließer sollte der Sportgemeinsschaft und seinen Individuen eine Chance einräumen. Wird diese verwirklicht, teilt man sich den Erfolg insofern der Kopf und der Geist dafür frei sind.
AntwortenLöschenHier ein Kommentar von Thomas Franze:
AntwortenLöschenBei mehreren 10.000 Routen in Deutschland bricht mir überhaupt kein Zacken aus der Krone, mich den ortsüblichen Gepflogenheiten der Kletterer bzw. den Wünschen der Erschließer unterzuordnen. Wenn es in einem Gebiet Konsens ist, dass der Erschließer ein Anrecht hat, dann sollte man das respektieren - alles andere ist egoistisch. Wenn man der Meinung ist, dass der Erschließer es nicht schafft, kann man ihn ja fragen....
Ich komme aus Sachsen und da erwirbt sich ein Erschließer mit einer Markierung ein dreijähriges Anrecht. Das mag komisch erscheinen. Wenn man bedenkt, dass von unten erschlossen wird und damit ziemliche Aufwände verbunden sind, ist es aber ok.
Beim Bouldern sehe ich es allerdings etwas anders. Klar, wenn jemand einen Boulder geputzt hat und den als sein Projekt bezeichnet, muss ich nicht rumstussen und ihn vor seinen Augen wegflashen - so macht man sich keine Freunde. Aber richtige Freunde beanspruchen Boulder auch nicht für sich. Ich habe auch Linien "entdeckt" - einige werde ich niemals hochkommen, aber ich freue mich, wenn die mal irgendwann geklettert werden. Warum sehe ich das bei Bouldern anders? Weil sie eh früher oder später wieder zuwachsen und man bis auf das Putzen auch keinen Aufwand reinsteckt. D.h. in der Praxis, wenn ich bspw. irgendwo Blöcke finde, dann turne ich dran rum, wenn ich Bock hab und dann ist es mir auch egal, ob das "Projekte" sind. Weil ich ja am Ende nur für michh boulder und keine Erstbegehung im eigentlichen Sinne für mich beanspruchen würde....